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update: 29.4.2016

Buchtipp

„Tschernobyl - Eine Chronik der Zukunft“

Swetlana Alexijewitsch, Verlag Piper, 2015, 304 Seiten, 9,99 €

Vor ein paar Tagen, am 26. April 2016, jährte sich die Atomkatastrophe von Tschernobyl zum 30. Mal. In ihrem Buch „Tschernobyl-Eine Chronik der Zukunft“ beschreibt die Literaturpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch diesen „größten anzunehmenden Unfall“ (GAU)  als das wichtigste Ereignis des 20. Jahrhunderts. Im Laufe von 10 Jahren hat die Autorin ganz normale Menschen in ihrem “neuen“ Lebensraum nach der Katastrophe interviewt, einfache Bauern, Feuerwehrleute, Psychologen, Liquidatoren, Wissenschaftler, Kraftwerkspersonal, Krankenhauspersonal, Soldaten. Viele von ihnen haben ihre Zeugenschaft mittlerweile mit dem Leben bezahlt. Wie gehen Leute damit um, wenn im historisch von Kriegen gebeutelten Weißrussland nicht mehr länger die Katastrophe die Folge von Krieg ist, sondern eine menschengemachte Katastrophe selbst an sich für den Ausnahmezustand sorgt? Die alten nationalstaatlichen Rezepte, der Herausforderung z.B. mit Religion und Ideologie zu begegnen, Rassen und Minderheiten für etwas verantwortlich zu machen und zu ahnden, funktionieren hier nicht mehr. Radioaktivität macht an keiner Grenze Halt, die Folgen für Gesundheit, Wirtschaft, Wohlfahrt sind weder räumlich noch zeitlich (für Generationen) abzusehen und abzugrenzen. Es betrifft die ganze Welt. Diese neue Geschichte der Menschheit mit der Welt von Tschernobyl, so die Autorin, kann der Mensch nicht begreifen, er ist gefangen in alten Strukturen. Das „Ehrenmal“ der uneigennützigen Helden von Tschernobyl (Liquidatoren, Feuerwehrleute) ist der Sarkophag über Reaktor 4, der für einige Jahre die „Bestie“ im Zaum hält. Ihren Einsatz haben diese Menschen für die ganze Welt geleistet.

Viel wurde schon über Tschernobyl geschrieben, wenig aber über die Situation der direkt Betroffenen. Dieses Buch ist ein unglaublich authentisches, zeitgeschichtliches Dokument, das den Leser durch seine schlichte, pragmatische Beschreibung des (Weiter-)Lebens und auch Sterbens nach Tschernobyl fesselt und die Geschehnisse hautnah schonungslos miterleben lässt.

Die Weltgemeinschaft lebt nicht nach „Tschernobyl“ und „Fukushima“, sondern in und mit den Folgen. Die global angereicherte Radioaktivität in Wasser, Luft und Boden wird Auswirkungen für Generationen haben. Für mich und für jeden Erdenbürger, insbesondere aus den Industrienationen, wirft das Buch die Frage auf: Welche Art der Energieerzeugung wollen wir? Wollen wir uns  und viele Generationen nach uns weiter diesen Gefahren aussetzen? Wollen wir weiterhin Flüchtlingsströme aus verseuchten Ländern, aus Ländern, die durch die Folgen des Klimawandels unbewohnbar sind, oder aus Ländern, in denen Krieg um Ressourcen stattfindet, akzeptieren? Gilt es nicht eher, diese alten fossilen und atomaren Energiestrukturen, die zu Lasten unseres globalen Überlebens gehen, mindestens einzudämmen, wenn nicht gar zu überwinden?

Jeder Einzelne kann etwas tun, um unseren fossilen Energiehunger zu begrenzen: auf alternative Energien umsteigen, demokratisch seine Stimme für Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit im Sinne von Unabhängigkeit von fossiler Energie erheben. Wissenschaftlich ist erwiesen, dass, wenn nur fünf Prozent der Menschen etwas tun, dies oft zu einem Trend wird und eine Gesellschaft verändert.
Fangen Sie noch heute an, auch mit kleinen Schritten – die Agenda hatte ja schon viele Tipps im Mitteilungsblatt – und vor allem: Erzählen Sie ihrer Familie, Ihren Freunden, Bekannten, am Stammtisch, von Ihren Erfahrungen, diskutieren Sie, bleiben Sie interessiert, schauen Sie, was Ihnen möglich ist. Jeder Einzelne ist nämlich nicht nur verantwortlich dafür, was er tut, sondern auch für das, was er unterlässt. Künftige Generationen werden es uns danken.

Für Sie gelesen von Stefan Peipp

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